Kameras im Betrieb sind nichts Ungewöhnliches – sie sollen Diebstähle verhindern, Maschinen sichern oder Unfälle dokumentieren. Aber was, wenn Kameras dauerhaft jeden Schritt der Beschäftigten aufzeichnen?
Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm zeigt, wie schnell aus vermeintlicher Sicherheitsmaßnahme ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre werden kann – mit teuren Folgen für den Arbeitgeber.
Der Fall: Dauerüberwachung im Stahlbetrieb
Ein Mitarbeiter eines Stahlunternehmens wurde über 22 Monate lang fast ständig per Video überwacht. In der Produktionshalle, im Lager und sogar in den Büroräumen waren insgesamt 34 Kameras installiert – viele davon zeichneten rund um die Uhr in HD-Qualität auf.
Zwar waren Pausen- und Umkleideräume ausgenommen, doch ansonsten wurde fast jeder Bereich erfasst. Der Arbeitnehmer fühlte sich ständig beobachtet und klagte auf Unterlassung und Schmerzensgeld.
Was das Gericht entschieden hat
Das LAG Hamm gab dem Mitarbeiter weitgehend recht:
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Die Videoüberwachung war rechtswidrig und unverhältnismäßig.
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Der Arbeitgeber musste 15.000 Euro Entschädigung zahlen.
Ein Unterlassungsanspruch bestand zwar nicht mehr (weil das Arbeitsverhältnis beendet war), aber die Richter sahen eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Warum das Gericht so entschieden hat
1. Kein ausreichender Grund für so viele Kameras
Der Arbeitgeber argumentierte mit Diebstahlschutz, Arbeitssicherheit und Maschinenüberwachung.
Doch das Gericht stellte klar:
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Es gab keine konkreten Hinweise auf Straftaten oder Sicherheitsvorfälle.
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Für Diebstahlschutz hätte es gereicht, Eingangsbereiche oder Außenflächen zu überwachen.
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Eine flächendeckende Daueraufzeichnung im Inneren war nicht erforderlich.
➡️ Beispiel:
Wenn in einer Lagerhalle teures Werkzeug liegt, darf ein Arbeitgeber den Eingangsbereich filmen – aber nicht permanent alle Mitarbeitenden bei der Arbeit.
2. Keine wirksame Einwilligung
Im Arbeitsvertrag stand zwar, dass der Mitarbeiter mit der Datenverarbeitung einverstanden sei.
Das reichte aber nicht:
Eine Einwilligung muss freiwillig und ausdrücklich sein – und ein Arbeitnehmer kann beim Vertragsabschluss kaum „frei“ entscheiden, weil er sonst die Stelle nicht bekommt.
Außerdem fehlte ein Hinweis auf das Widerrufsrecht, den die DSGVO verlangt.
3. Verletzung des Persönlichkeitsrechts
Das Gericht sah die Dauerüberwachung als massiven Eingriff in die Privatsphäre.
Der Mitarbeiter konnte nie sicher sein, wann und wer ihn beobachtete.
Er stand unter ständigem Druck, sich perfekt zu verhalten – ein Zustand, den das Gericht als „erheblichen Anpassungsdruck“ bezeichnete.
➡️ Beispiel:
Wenn ein Chef jederzeit über Kameras sehen kann, wie lange jemand an der Maschine steht oder wann er zur Pause geht, entsteht ein Gefühl der Kontrolle – das zerstört Vertrauen und belastet das Arbeitsklima.
Die Folgen für den Arbeitgeber
Das Gericht verurteilte das Unternehmen zu einer Geldentschädigung von 15.000 Euro. Das ist deutlich mehr als in früheren Fällen – ein Signal, dass massive Datenschutzverstöße zunehmend teuer werden. Zur Einordnung:
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3 Monate Überwachung → 7.000 € (Hessisches LAG)
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8 Monate → 2.000 € (LAG Mecklenburg-Vorpommern)
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20 Monate → 4.000 € (LAG Hamm, früherer Fall)
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22 Monate → 15.000 € (aktueller Fall 2025)
Was Arbeitgeber daraus lernen sollten
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Videoüberwachung nur, wenn wirklich nötig.
Sie darf kein Dauerzustand sein und muss einem konkreten Zweck dienen (z. B. Diebstahlschutz im Eingangsbereich). -
Arbeitnehmer rechtzeitig informieren.
Transparenzpflichten nach Art. 13 DSGVO gelten auch hier. -
Keine versteckten oder pauschalen Einwilligungen.
Eine Einwilligung muss freiwillig, eindeutig und jederzeit widerrufbar sein. -
Sensible Bereiche tabu.
Pausenräume, Toiletten und Umkleiden dürfen nie gefilmt werden. -
Datenschutzbeauftragten einbeziehen.
Ein prüfender Blick hätte im Fall des Stahlbetriebs wohl 15.000 Euro gespart.
Fazit: Vertrauen ist besser als Kontrolle
Das Urteil zeigt: Ständige Überwachung ist kein Zeichen von Sicherheit, sondern von Misstrauen – und verletzt grundlegende Rechte der Beschäftigten.
Kameras dürfen helfen, Gefahren abzuwehren – aber sie dürfen nicht dazu führen, dass Menschen sich wie unter Beobachtung leben müssen.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit Videoüberwachung schützt nicht nur die Privatsphäre der Mitarbeitenden, sondern auch den Ruf und das Portemonnaie des Unternehmens.
